Ganzheitliches Scaffolding
Die Begriffe Scaffolding und „Zone proximaler Entwicklung“ sind bereits seit
Jahren Schlüsselkonzepte der Didaktik für den bilingualen
Sachfachunterricht.
Oft wird Scaffolding als Bereitstellen von ausreichend Materialien und
Informationen verstanden, um Lernende bei der Erledigung einer konkreten
Aufgabenstellung zu unterstützen.
Scaffolding umfasst jedoch viel mehr. Scaffolding sollte darauf abzielen,
durch angemessene Formen der Mediation den Entwicklungsprozess der Lernenden
optimal zu gestalten.
So wie ein Gärtner sich nicht nur um Pflanzen kümmern kann, die bereits in
voller Blüte stehen, sondern auch jene betreuen muss, die erst Knospen
aufgesetzt haben, können sich Lehrende nicht nur auf die bereits voll
entwickelten sozialen und kognitiven Funktionen konzentrieren, sondern müssen
sich gleichermaßen den noch nicht fertig ausgebildeten Funktionen widmen, die
durch didaktische Hilfestellungen zum Reifen gebracht werden können.
Für die Unterrichtsplanung bedeutet dies, dass NICHT NUR der aktuelle
Entwicklungsstand der Lernenden, SONDERN AUCH ihr potentieller
Entwicklungsstand zu beachten sind, der bei und in der Zusammenarbeit mit
anderen Lernenden sichtbar wird. Denn, wie Lantolf (2014: 149) formulierte,
was Lernende heute bei kollaborativen Aufgaben zusammen mit anderen Lernenden
leisten können, werden sie morgen eigenständig schaffen.
Pluriliterales Lernen setzt daher auf Scaffolding zur Unterstützung von
vertieftem Lernen (also der Internalisierung von Sachwissen und
Automatisierung von Fertigkeiten und Strategien, die zur Wissenskonstruktion
und –vermittlung benötigt werden).
Beim pluriliteralen Lernen umfasst Scaffolding unterschiedliche Dimensionen.
Es ist sowohl proaktiv als auch reaktiv, differenziert wie individuell
angepasst, es reicht von der Vorbereitung einzelner Unterrichtseinheiten bis
zur Gesamtplanung von Lernprogression. Scaffolding für vertieftes Lernen
bedeutet, dass Materialien und Aufgabenstellungen so konzipiert werden, dass
sie die Wissenskonstruktion und das Verständnis fördern, und dass
Übungsmöglichkeiten und Feedback (durch MitschülerInnen und Lehrende) so
gestaltet werden, dass sie die Entwicklung relevanter Fertigkeiten und
entsprechender Strategien (über Automatisierung) und die Internalisierung von
Konzeptwissen unterstützen.
Scaffolding im Rahmen von pluriliteralem Lernen ist:
-
proaktiv, weil es sich am Vorwissen und Können der Lernenden orientiert und
auf längerfristige Lernfortschritte fokussiert ist;
-
reaktiv und prozessorientiert, weil es Feedback und Gelegenheiten zur
Reflexion bietet;
-
performanz-orientiert, weil die Lernenden durch ausgewogene Übungseinheiten
(kontrollierte Aufgaben, kommunikative Übungen, Übungen zur
Bewusstseinsförderung sowie Gelegenheiten zur Reflexion von Lernerfahrungen)
ihre Leistungen im Sachfach verbessern;
-
kontinuierlich, weil Feedback und Übungsschleifen zum festen Bestandteil des
Unterrichts werden;
-
temporär, weil die Unterstützungangebote abgesetzt werden, wenn die
Lernenden sie nicht mehr benötigen.