Versprachlichung für vertieftes Verstehen
Sprache bzw. die Versprachlichung von Wissen ist der Schlüssel zur
erfolgreichen Internalisierung von Konzeptwissen und damit eine
Grundvoraussetzung für den vertieften Wissensaufbau. Die beiden Kontinua
unseres Modells (das Wissens- und das Kommunikationskontinuum) können mit
Propellerblättern verglichen werden: Ein Flugzeug wird nur dann abheben, wenn
beide perfekt aufeinander abgestimmt sind. Die Versprachlichung von Wissen ist
jene Kraft, die die Rotorblätter antreibt, beschleunigt und in Schwung hält.
WAS HEISST VERSPRACHLICHUNG UND WARUM SPIELT DIESER PROZESS EINE SO WICHTIGE
ROLLE?
Versprachlichen heißt, unsere Gedanken mitteilen. Mit diesem Vorgang verleihen
wir unserem Denken Gestalt und machen es somit für andere und uns selbst
sichtbar. In und mit der Versprachlichung erschließen die Lernenden Bedeutung,
erarbeiten sich Wissen und Erfahrung und entwickeln somit vertieftes Verstehen
sowie die Fähigkeit zur angemessenen sprachlichen Darstellung dieses Wissens.
Dieses zunehmend tiefere Verstehen und der Ausbau der sprachlichen Mittel zum
Ausdruck des Verstehens ermöglichen es den Lernenden, die erworbenen
Lehrinhalte zu abstrahieren und von den Lernmomenten abzukoppeln, die Anlass
zum Konzepterwerb waren. Dadurch wird auch der Transfer von Konzeptwissen,
Strategien und Vorgängen auf andere Lernsituationen ermöglicht. Der Gefahr,
dass Lernende die Inhalte eines Sachfaches bloß auswendig lernen, wird somit
entgegengewirkt. Jedoch bedeutet dies, dass dieser Lernprozess vertieft
erkundet werden muss, bevor die Ausbildung von übertragbarem Wissen und
Kompetenzen möglich ist.
WIE KANN VERSPRACHLICHUNG IM UNTERRICHT GEFÖRDERT WERDEN?
Die Lehrenden sind sich bewusst, wie wichtig die Rolle von Higher Order
Thinking ist, wenn sie Aufgaben erstellen. Kognitive Diskursfunktionen sind
die Bausteine dieses Higher Order Thinking; sie sind die Instrumente, mit
denen die Versprachlichung von Wissen erfolgt, mit denen die Lernenden ihr
Wissen aufbauen, ordnen und mit Hilfe derer sie neue Inhalte verstehen. Dies
geschieht beispielsweise durch:
-
das Beschreiben und Benennen der verschiedenen Bestandteile einer Zelle;
-
das Erklären und Definieren eines komplexen Prozesses wie z. B. der
Photosynthese;
- das Vergleichen unterschiedlicher Vulkantypen;
-
die Beurteilung und Bewertung der Vorteile und möglichen Risiken von
Fracking.
Ein zentrales Anliegen von pluriliteralem Lernen im Sachfach ist die
Unterstützung der Lernenden bei der Aneignung der dem Sachfach eigenen
Diskurskonventionen. Das bedeutet, dass sicher gestellt werden muss, dass die
Lernenden befähigt werden, kognitive Diskursfunktionen auf zunehmend
komplexerem Niveau anzuwenden.
Angaben wie „Definiere x“ oder „Erkläre y“ sind zu wenig, um Lernenden
das wirkliche Verstehen eines Konzepts oder Sachverhalts zu ermöglichen.
Zusätzlich muss der Vorgang der Versprachlichung sichtbar gemacht werden und
darüber hinaus muss deutlich gemacht werden, wie die Versprachlichung
zunehmend verbessert und verfeindert werden kann. Für die Lehrenden heißt
dies, dass diese sich mehr Wissen über die kognitiven Diskursfunktionen
aneignen müssen und sich Gedanken machen müssen, wie sie diese im Unterricht
vermitteln können.
Zusammenfassung:
Lehrende und Lernende müssen unterschiedliche Möglichkeiten zur
Vermittlung von kognitiven Diskursfunktionen kennen lernen. Soll
beispielsweise die Diskursfunktion „erklären“ behandelt werden, sind folgende
Fragen relevant:
Welche Arten von Erklärungen gibt es (d.
h. sequentiell, einfach kausal oder multikausal)?
2. Aus welchen Bestandteilen setzen sich
Erklärungen zusammen (d. h. Ursache – Wirkung)?
3. Wie sieht eine gute Erklärung aus? Was
unterscheidet eine einfache von einer komplexeren Erklärung
(d. h. sequentielle Erklärung vs.
multikausale Erklärung)?
4. Wie kann ich meinen Lernenden helfen,
bessere Erklärungen zu verfassen? Welche sprachlichen Mittel,
Aufgabenstellungen und Übungsformen werden sie benötigen?
Aus der Praxis für die Praxis:
Die von Anja Wojkes für den Geografieunterricht erstellten Materialien
demonstrieren, wie kognitive Diskursfunktionen (in diesem Fall
unterschiedliche Arten von Erklärungen auf mehreren Komplexitätsstufen)
gezielt in das Lehr-und Lernmaterial für unterschiedliche Altersgruppen
integriert werden können. So bietet man Lernenden eine Unterstützung für
vertieftes Verstehen der Fachinhalte sowie für die Aneignung eines zunehmend
differenzierten Repertoires sprachlicher Mittel, welche der Vermittlung dieser
immer komplexer werdenden Wissensinhalte dient.